Das "Landhaus Ilse" in Burbach
Denkmal des Monats April 2018
Mit dem Gebäude Erzweg 3 in Burbach (Kreis Siegen-Wittgenstein) hat sich ein in mancherlei Hinsicht bemerkenswerter Zeitzeuge der modernen Architektur des frühen 20. Jahrhunderts erhalten.
Lange Zeit unentdeckt und verkannt
Versteckt hinter regionaltypischen Attributen wie Eternitverkleidung und sprossierten Kastenfenstern fristete der Bau, der mit seiner ungewöhnlichen Kubatur so gar nicht zu diesen Stilblüten passen will, lange Zeit ein Dasein fernab der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Erst 2001 wurde im Zuge eines Eigentümerwechsels auf Anregung der neuen Eigentümerin eine Überprüfung des Objektes auf Denkmalwert durchgeführt, die nach und nach die Bedeutung des ungewöhnlichen Baus offenlegte und zu einer Eintragung des Hauses in die Denkmalliste der Gemeinde Burbach führte.
Das als Atriumhaus mit überhöhtem Mittelbau konzipierte Gebäude wurde nach jetzigem Wissensstand 1924 zunächst als Gästehaus der „Grube Sachtleben AG“ der Westerwald-Brüche AG (WAG) gebaut. Nach dem Niedergang dieses Betriebs erstritt sich 1927 dessen ehemaliger Direktor Friedrich Willi Gustav Adolf Grobleben (1883–1964) das Gästehaus als Abfindung, das er in der Folge für Privatzwecke umnutzte und bis zu seinem Tod im Jahr 1964 bewohnte. Das heute als „Landhaus Ilse“ bekannte Gebäude blieb bis zum Tod der namensgebenden Tochter Groblebens im Jahr 2000 in Familienbesitz.
Dem Umstand, dass sowohl Ilse als auch ihre Eltern ein recht zurückgezogenes Leben führten, ist es wohl zu verdanken, dass das Gebäude nahezu unverändert überliefert wurde. Der Aufmerksamkeit sowie dem ideellen und finanziellen Engagement der folgenden Eigentümerin ist es nicht nur zu verdanken, dass das Haus, für das es auch Abbruchpläne gab, heute noch vorhanden ist, sondern auch dass dringend erforderliche Reparaturen ausgeführt wurden und dass es 2001 in die Denkmalliste eingetragen werden konnte.
Einzige bekannte Kopie des Musterhauses „Am Horn“
Gründe für den Denkmalstatus waren nicht allein das Alter und die ungewöhnliche Bauform des Gebäudes oder seine bemerkenswert vollständig erhaltenen, bauzeitlichen Wandfassungen, sondern auch der Umstand, dass es sich beim „Landhaus Ilse“ um die einzige bekannte Kopie des Musterhauses „Am Horn“ in Weimar handelt, eines auf Georg Muche und Walter Gropius zurückgehenden Beitrags zur Bauhausausstellung von 1923, das seit 1996 als Weltkulturerbe in der Denkmalliste der Vereinten Nationen verzeichnet ist.
Sieht man einmal von dem recht verunklärenden äußeren Erscheinungsbild des „Landhauses Ilse“ ab, sind die Übereinstimmungen zwischen beiden Bauten mehr als verblüffend. Bis auf eine in Burbach nachträglich entfernte Trennwand und geringe Abweichungen in der Positionierung von Türöffnungen gleichen sich die Grundrisse der beiden quadratischen Bauten bei nahezu identischen Dimensionen. Das „Landhaus Ilse“ weist im Grundriss eine etwas größere Kantenlänge von 13,95 m statt 12,80 m auf, wodurch sich die Fläche der außerhalb des Atriums liegenden Räume vergrößert. In Burbach wurden demzufolge die geordnete Struktur und die Funktionalität des Bauhausentwurfs übernommen, nicht aber dessen schlichte Ästhetik im Äußeren mit klaren Kubaturen und nüchternen Fensterbändern.
Haus „Am Horn“, Weimar. Gesamtansicht von Westen. © Most Curious, Das Haus am Horn in Weimar (Westansicht). https://commons.wikimedia.org/wiki/ File:Haus_am_Horn,_Weimar_ (Westansicht).jpg. CC BY-SA 3.0
Links: Grundriss Haus „Am Horn“, Weimar (1923). Rechts: Grundriss „Landhaus Ilse“, Burbach (1924). Umzeichnungen ohne Maßstab. LWL/Venedey.
Baugeschichte unbekannt
Trotz intensiver Recherchen des Referats Inventarisation der LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen und öffentlicher Aufrufe waren bislang keine weiteren Informationen zur Baugeschichte des Burbacher Bauhausklons zu ermitteln. Dies ist umso bedauerlicher, als es aus heutiger Sicht absolut unbegreiflich erscheint, wie in den 1920er-Jahren ein architektonischer Avantgardeentwurf, der ohne bekannte Nachfolger blieb, innerhalb kürzester Zeit seinen Weg in das zwar preußische, aber dennoch von Weimar weit entfernte Siegerland fand.
Bemerkenswert ist auch, dass das „Landhaus Ilse“ in einigen Details wie der Anzahl der Kamine vom ausgeführten Bau in Weimar abweicht, sich diese Details jedoch in dem ursprünglichen Bauantrag für das Haus „Am Horn“ von Gropius wiederfinden. Dies bedeutet, dass die Idee zum Nachbau des Weimarer Hauses nicht erst beim Besuch der Bauhausausstellung reifte, sondern schon zeitlich früher anzusiedeln ist und möglicherweise auf einen persönlichen Kontakt zu Gropius oder seinem Umfeld zurückgeht.
Große Fülle ursprünglicher Befunde
Im Gegensatz zum Haus „Am Horn“ in Weimar, das aufgrund umfangreicher Umbau- und auch Rekonstruktionsmaßnahmen nur noch relativ wenig originale Substanz aus den 1920er-Jahren aufweist, bietet das „Landhaus Ilse“ der Forschung und dem Betrachter ein große Fülle ursprünglicher Befunde. Gerade die Abweichungen von dem idealisierten Prototypen in Weimar zeigen, wie neue Ideen in ihrer Zeit bereits adaptiert und weitergeführt wurden. Dies gilt auch für die mitunter recht farbgewaltigen Wandgestaltungen im Inneren des „Landhauses Ilse“, die sich mit der weit verbreiteten Vorstellung einer nüchtern-sachlichen Bauhausarchitektur nicht recht in Einklang bringen lassen. Auf die Farbenlehre des Bauhauses sind auch die nur wenig später entstandenen Meisterhäuser in Dessau mit ihrer ausdrucksstarken Farbgebung zurückzuführen. Mit diesen lässt sich im Burbacher Haus die in verschiedenen Räumen nachweisbare, unterschiedlich monochrome Erstfassung recht gut vergleichen. Die durchgängig vorhandene Zweitfassung, die der Umnutzung des ehemaligen Gästehauses als Privatwohnsitz durch Grobleben im Jahr 1927 zuzuordnen ist, weicht mit den vertikalen, kontrastierenden Streifenmustern und minimalistischen Ornamentrapporten bereits deutlich davon ab. Im Rahmen einer im Frühjahr 2018 erfolgten restauratorischen Voruntersuchung konnten jedoch Musterbücher dieser Zeit ausfindig gemacht werden, in denen sich ebensolche Dessins wiederfinden. Grobleben war also gestalterisch absolut auf der Höhe der Zeit.
Zukunft des Landhauses
Im September 2016 ging das „Landhaus Ilse“ durch Schenkung in das Eigentum der Gemeinde Burbach über. Diese ist sich der Verantwortung, die damit einhergeht, bewusst und möchte das Gebäude einer sinnvollen, möglichst öffentlichen Nutzung zuführen. Der zeitliche Rahmen dafür ist eng gesteckt, stehen doch im Jahr 2019 sowohl das 100-jährige Jubiläum des Bauhauses als auch das 800-jährige Bestehen Burbachs an. Im Rahmen der zugehörigen Vorplanungen nahm die Gemeinde Kontakt zu einem Berliner Kunsthistoriker und Fachmann für Bauhausarchitektur auf, der bereits 2006 für die damalige Eigentümerin eine Expertise zum „Landhaus Ilse“ verfasst hatte, das von der LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen seit 2001 kontinuierlich auf mehreren Ebenen betreut wird. Über diesen Kontakt möchte man auch Verbindungen zum Bauhausarchiv sowie im Speziellen zum Haus „Am Horn“ in Weimar knüpfen.
Im Frühjahr 2018 fand die bereits erwähnte restauratorische Voruntersuchung der historischen Oberflächen im „Landhaus Ilse“ statt, die aus Mitteln des LWL gefördert wurde und die neben differenzierten Informationen zu den Farbfassungen weitere Erkenntnisse über die Bau- und Nutzungsgeschichte des Gebäudes lieferte.
Aktuell beschäftigen sich Architekturstudierende der Universität Siegen mit der Entwicklung möglicher Nutzungskonzepte für das Haus und eine Gruppe von Studierende der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen erstellt ein Handaufmaß der Räumlichkeiten.
Im Laufe der letzten 15 Jahre konnte die Bedeutung des lange Zeit unentdeckten und verkannten Burbacher Gebäudes als bedeutender Zeitzeuge der Bauhausbewegung ins rechte Licht gerückt werden. Auch wenn das äußere Erscheinungsbild des „Landhauses Ilse“ den unvorbereiteten Betrachter stutzen lassen mag, so besteht doch aufgrund des Engagements der Gemeinde Burbach als neue Eigentümerin Anlass zur Hoffnung, dass dieses Denkmal erhalten bleibt und in den kommenden Jahren über das Siegerland hinaus Beachtung findet.
Autor
Tobias Venedey
Ehemaliger Mitarbeiter Praktische Denkmalpflege