Die frühgotische Christusfigur aus St. Mariä Heimsuchung in Ahsen
Denkmal des Monats
September 2023
In den Blickpunkt gerückt und restauriert
Spannende Befunde ergab die Untersuchung einer rund 700 Jahre alten Christusfigur aus der Kirche St. Mariä Heimsuchung in Ahsen. Lange fand die 80 cm große Holzskulptur im Chorraum wenig Beachtung Erst während der umfassenden Kirchensanierung im Jahr 2019 gelangte sie in den Blick von Kirchenvorstand, Denkmalpflege und Bistum.
Untersuchung im CT, Foto: Zumkley.
Vorgeschichte
Der Gekreuzigte wirkte aus der Ferne unscheinbar und war durch den schlechten Erhaltungszustand mit abplatzenden Farbschichten unansehnlich geworden. Bei näherer Betrachtung war jedoch eine präzise und qualitätvolle Schnitzerei zu erahnen. Schon damals vermutete der damalige Kunstpfleger des Bistums Münster, Dr. Reinhard Karrenbrock, dass die Figur einem besonderen, westfälischen Typus kleiner mittelalterlicher Kruzifixe aus der Zeit um 1300 zuzuordnen sei. Von diesen gibt es in Westfalen nicht mehr viele. Die Neugier bei den Beteiligten war geweckt. Eine Maßnahme mit Untersuchung und Restaurierung wurde angestoßen. Im Sommer 2019 wurde die Christusfigur in die Hände der Restauratorin Beate Zumkley gegeben.
Christus im Krankenhaus
Um dennoch weiter untersuchen zu können, wurde auf Initiative des LWL-Denkmalfachamtes eine strahlendiagnostische Untersuchung zur Ergänzung der bisherigen Erkenntnisse initiiert. Mit freundlicher Unterstützung des Radiologie-Teams des Herz-Jesu-Krankenhauses in Hiltrup erfolgte im Sommer 2020 eine Betrachtung der Christusfigur sowohl im CT als auch im Röntgengerät.
CT-Aufnahme mit Reliquiendepositorium, Foto: HJK Münster
Die Aushöhlung im Rückenbereich stellte sich als Depositorium für Reliquien heraus. Die enthaltenen Gegenstände könnten aus Stoff sein sowie festeres organisches und bislang nicht näher identifiziertes Material wie Holz darstellen. Die Untersuchung bestätigte darüber hinaus die vermutete Konstruktion von angesetztem Kopf und Armen am Rumpf und ließ erkennen, dass die Verbindungen größtenteils durch schmiedeeiserne Nägel gegeben sind.
Röntgenaufnahme Kopf- und Rumpfansatz, Foto: HJK Münster
Die Farbfassungen unter dem Mikroskop
Die Untersuchung der Farbfassungen vor der Restaurierung zeigte, dass drei Gestaltungsphasen nachzuweisen waren. Alle waren nach demselben klassischen Schema – Vorleimung – Grundierung – Farbschichten – Lasuren – aufgebaut. Die bis dato vorhandene Sichtfassung (Farbfassung 3) war sehr einfach und besonders schlecht erhalten, was die Schnitzarbeit entstellte. Durch den Vergleich von Archivaufnahmen kann diese Gestaltung in die Zeit nach 1926 eingeordnet werden. Darunter befindet sich Farbfassung 2 – eine Farbschicht, die aufgrund ihrer Gestaltung in den Zeitraum zwischen 1350 und 1600 einzuordnen ist. Stichprobenartige mechanische Freilegungen ergaben, dass Farbfassung 2 intensivfarbiger ist als Farbfassung 3. Das Lendentuch ist z. B. weiß und zeigt Reste farblich akzentuierter Saumbänder. Eine weitere Besonderheit ist die Gestaltung der Augen. Sie sind geöffnet und leuchten hellblau. Die zuunterst auf dem Holz liegende Farbschicht – Farbfassung 1 – lässt eine rosabeige bis gräulich wirkende Inkarnatfarbe mit sehr umfangreichen vom Kopf und über die Seitenwunde bis zu den Füßen laufenden Blutspuren erkennen. Das angrenzende Lendentuch scheint hellblau bis weiß zu sein. Als Vorgänger und möglicherweise Vorlage für Farbfassung 2 lassen sich auch hier Begleitlinien in schwarz und rot sowie Saumbänder in einem leuchtenden Blau erahnen.
Die notwendige Konservierung/Restaurierung
Nach reiflicher Überlegung und Diskussion wurde entschieden, die oberste Farbfassung 3 mechanisch zu entfernen und die darunterliegende hochwertige Farbfassung 2 freizulegen. Einige Bereiche dieser unterliegenden Schicht mussten gefestigt und Fehlstellen gekittet werden. Ein Schwerpunkt der Bearbeitung war die abschließende punktgenaue Retusche von Fehlstellen und neuen Kittungen. Die Retuschen ordnen sich trotz ihrer Dichtigkeit aufgrund der zurückhaltenden Farbnuancierung gegenüber den originalen Farbpartien unter. Durch diese Art der Retusche erscheint für das Auge der Betrachtenden wieder ein klares Bild der alten Farbfassung.
Die filigrane und schnitzerisch gekonnt ausgearbeitete Christusfigur beeindruckt nach ihrer Restaurierung durch die aufgedeckte qualitätvolle Farbfassung mit einigen wenigen markanten Blutmalen, die sich insbesondere an den Händen befinden.
Durch raffiniert ausgearbeitete Details wie die feinen Wangenrötungen und die leuchtenden hellblauen Augen berührt der Anblick des Gekreuzigten und die alte Skulptur rückt wieder in den Blickpunkt.