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Wohnen in Stahl – der Hoesch-Bungalow in Münster-Gievenbeck

Denkmal des Monats Juni 2021

Hoesch – dieser Name steht für eines der ehemals bedeutendsten Stahl- und Montanunternehmen Nordrhein-Westfalens. Die wenigsten werden mit diesem einst in Dortmund ansässigen Industriegiganten experimentelle Avantgarde-Architektur verbinden. Und doch steht seit über einem halben Jahrhundert in Münster-Gievenbeck ein weißer Flachdach-Bungalow aus Stahl, entwickelt und produziert von der Firma Hoesch. Ein originelles Projekt und ein nahezu authentisch überliefertes Gebäude, das es wert ist, als Denkmal des Monats vorgestellt zu werden.

Straßenansicht des 1964 montierten Hoesch-Bungalows vom Typ 146 in Münster-Gievenbeck

Straßenansicht des 1964 montierten Hoesch-Bungalows vom Typ 146 in Münster-Gievenbeck. Foto: Rauterberg

Von der temporären Mobilunterkunft zum Einfamilienhaus

Vor 72 Jahren, im September 1953, beschloss die Firma Hoesch Fertighäuser aus Stahl zu entwickeln. Vorrangiges Anliegen des Konzerns war es nicht, eine eigene Bauabteilung aufzubauen, sondern den Absatz ihrer Stahlprodukte während einer Stagnationsphase der Stahlindustrie im Ruhrgebiet sicherzustellen. 1959 stellte Hoesch erstmals den selbst entwickelten neuartigen Verbundwerkstoff Platal vor. Das PVC-beschichtete Stahlblech konnte zu einer Vielzahl von Fertigteilen weiterverarbeitet werden und diente auch als Ausgangsmaterial für den Stahlbungalow. 

Gartenansicht. Die weißen Außenwände des Hoesch-Bungalows bestehen aus 2,65 m hohen und 1,25 m breiten Paneelen. Beplankt mit dem von Hoesch entwickelten „Platal“, einem dünnwandigen Stahlblech haben sie eine Stärke von 56 mm. Ein Hartschaumkern dient der Wärme- und Schalldämmung. Die Paneele aus Bandstahlrahmen bilden einen selbsttragenden Wandaufbau. Platalabdeckleisten verdecken die Spalte zwischen den Paneelen und geben den Bauten so eine glatte, weiße Oberflächenerscheinung. Foto: Rauterberg

Freiraum für gesundes Leben und Wohnen

Zunächst war das Stahlfertighaus für die amerikanischen Streitkräfte als temporäre und transportable Truppenunterkunft sowie als umsetzbares Zuhause für im Ausland tätige Mitarbeiter deutscher Firmen gedacht. Die weitere Entwicklung führte aber zu einem schlüsselfertigen Bungalowbausystem für den heimischen Markt. 1962 präsentierte Hoesch auf der Hannover-Messe zwei eingeschossige stählerne Flachdachbungalows unterschiedlicher Größe. Nachfolgend wurden drei Einfamilienhaustypen angeboten, die entsprechend der Größe ihrer Wohnfläche die Typenbezeichnung 55, 109 oder 146 trugen. Darüber hinaus gab es weiterentwickelte Typen, wie die beiden L-förmigen Winkelbungalows HL 119 und HL 141 sowie den Typ 55/55, bei dem die Wohnfläche durch Koppelung verdoppelt.

Erdgeschoss-Grundriss

Erdgeschoss-Grundriss. Foto: Bauaktenarchiv Stadt Münster

Produktion

Um das Projekt wirtschaftlich zu gestalten, plante der Konzern ursprünglich die Produktion von 2.000 Bauten. Bis zur Einstellung der Produktion im Jahre 1969 sind nach derzeitigem Kenntnisstand jedoch weltweit maximal 200 Hoesch-Bungalows realisiert worden. Zahlreiche von ihnen entstanden im Rahmen firmeneigener Werkssiedlungen, so in der Hoeschstadt Dortmund, in Hamm und in Darmstadt. Fünf der Bungalows sind – in leicht abgewandelter Form – als Stützpunkte der Autobahnpolizei ausgeliefert worden. Jedoch entschieden sich auch private Bauleute für einen Hoesch-Bungalow. In Münster ließ ein Universitätsprofessor 1964 den Stahlbungalow für seine Familie in dem damals durch den Ausbau der Klinik boomenden Stadtteil Gievenbeck errichten. 1974 wurde das Haus von seinen heutigen Eigentümern erworben, die ihr ungewöhnliches Zuhause sehr schätzen.

Architektur ohne Architekten

Es existieren kaum Quellen über die Entwicklung und den Vertrieb des Hoesch-Bungalows. Das Unternehmen fungierte zugleich als Konstrukteur, Gestalter, Planer und Generalunternehmer. Der Bungalow wird mit keinem Architekten oder Ingenieur namentlich in Verbindung gebracht. Auch ist bis dato nicht klar, wer zur Entwicklungsabteilung der Firma Hoesch gehörte. Grundlage des Hoesch-Bungalows ist das nach seinem Erfinder benannte „Lücke-Bausystem“. Gemeinsam mit der Darmstädter Firma Donges betrieb Hoesch ab 1961 die Weiterentwicklung zu einem Einfamilien-Fertighaussystem.

 

Blick in das Wohnzimmer. Bilder und Dekoration werden von Schienen abgehängt oder an die Plataloberfläche magnetisiert. Foto: Rauterberg

 

Bekenntnis zum modernen und industriellen Bauen

Der Hoesch-Stahl-Bungalow der 1960er-Jahre kann gemeinsam mit dem ein Jahrzehnt später von Thyssen produzierten Thyssen-Haus-System als Endpunkt einer im 19. Jahrhundert begründeten, in den 1920er-Jahren erprobten und in der Nachkriegszeit weiter entwickelten Bauweise für Wohnhäuser aus Metall (z. B. Kupfer) und Stahl angesehen werden. Innerhalb seiner Gattung – dem Stahl-Fertighaus – ist der Hoesch-Bungalow ein klares Bekenntnis zum modernen und industriellen Bauen. Das Wandmaterial verleugnet nicht seine Herkunft vom Fließband einer Fabrik. Im Gegensatz zu der Mehrzahl der Stahlhäuser nach 1945, wie dem bereits 1948 von der Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg (MAN) entwickelten Stahlhaus mit steilem Satteldach und Biberschwanzdecken, Sprossenfenstern und Klappläden oder selbst noch dem in den 1970er-Jahren umgesetzten Thyssen-Haus-System mit flachem Satteldach, schließt der Hoesch-Bungalow als eingeschossiger Flachdachbau mit glatten Wandpaneelen und betonter Dachkante an die experimentellen Stahlbauten des Neuen Bauens der 1920er-Jahre an, wie Georg Muches und Richard Paulicks Stahlhaus in Dessau-Törten (1926). Aufgrund seiner Bedeutung für die Ortsgeschichte Münsters sowie seiner Bedeutung für die Architekturgeschichte wurde der Hoesch-Bungalow 2018 auf die Denkmalliste der Stadt Münster gesetzt.

Autorin

Anke Kuhrmann
Inventarisation

anke.kuhrmann@lwl.org

Tel: 0251 591-4075

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