Transkript anzeigen Abspielen Pausieren
St. Agatha in Münster-Angelmodde

St. Agatha in Münster-Angelmodde – ein Einblick in die Bauforschung

Denkmal des Monats
November 2022

Einblick in die Bauforschung

Im Sommer 2022 fanden im Dachwerk der Kirche St. Agatha im Münsteraner Vorort Angelmodde Sanierungsarbeiten statt. Für den Sachbereich Bauforschung der LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen ergab sich damit die Möglichkeit, das Gebäude einer detaillierten Untersuchung zu unterziehen. Die noch laufenden Forschungsarbeiten brachten bereits erste Ergebnisse zutage. Sie helfen, die Baugeschichte der Kirche näher zu beleuchten. Somit konnten bisherige stilanalytische Thesen nun auch durch eine genaue bauforscherische Beobachtung der Gebäudesubstanz untermauert werden.

 

Blick von Südwest auf die Kirche und den umgebenden Kirchplatz. Der Kirchturm nimmt das Eingangsportal auf, ist sonst in den unteren Geschossen aber sehr geschlossen und massiv.

Kircheninneres nach Osten mit den beiden Jochen der Saalkirche

Eine münsterländische Dorfkirche der Romanik

Die Kirche St. Agatha steht malerisch umgeben von weiteren historischen Gebäuden zentral auf dem Kirchplatz des alten Dorfkerns von Angelmodde. Der romanische Bau präsentiert sich sehr schlicht, weiß verputzt und – typisch für die Romanik – mit klar voneinander abgetrennten Gebäudeteilen. Im Westen dominiert ein niedriger, aber dennoch mächtiger Turm, der den Eingang der Kirche aufnimmt. Hier finden sich mit dem gestuften Eingangsportal und den Biforienfenstern im Obergeschoss die einzigen schmückenden Elemente im Außenraum. Es folgt nach Osten das weniger hohe, aber etwas breitere Langhaus. Der Chor ist nochmals niedriger und schmaler. Das östliche Ende bildet eine kleine, halbrunde Apsis. Alle diese Gebäudeteile haben jeweils ihr eigenes Dachwerk und sind so auch im Äußeren als eigenständige Bereiche ablesbar.
Auch im Inneren ist die Gestaltung zurückhaltend, es finden sich lediglich Kämpfergesimse und zwei maskenhafte Kopfdarstellungen. Die größte Besonderheit des Innenraumes ist, dass alle Bereiche vollständig überwölbt sind – für eine Dorfkirche dieser Zeit keine Selbstverständlichkeit.  

 

Kircheninneres nach Osten mit den beiden Jochen der Saalkirche. Im Hintergrund der schmalere und niedrigere Chor und die eingezogene Apsis.

Erkenntnisse der aktuellen Bauforschungsarbeiten

Unklar ist, wann genau die Kirche errichtet wurde. Zwar wird die Pfarrei erstmalig im Jahr 1286 urkundlich erwähnt, jedoch legt der Vergleich der Raumkonstruktion mit anderen Kirchen den Schluss nahe, dass die Kirche der Zeit um das Jahr 1200 entstammt. Dies gilt jedoch nicht für den Kirchturm: Hier konnte bislang nur vermutet werden, dass dieser ggf. noch älter ist und ihm der Bauschmuck erst im zweiten Viertel des 13. Jahrhunderts zugefügt wurde. Diese These konnte im Rahmen der zurzeit laufenden Bauforschungs- und Dokumentationskampagne nun erstmalig durch genaue Beobachtung der Bausubstanz und des Konstruktionsgefüges gestützt werden. 

 

Eingangsportal des Westturmes mit zwei eingestellten Säulen und schlichter Stufung, Foto: LWL/Hensgens

Zwei Bauphasen

Ein mit Hilfe eines Tachymeters erstelltes, verformungsgerechtes Bauaufmaß ergab, dass Turm und Kirche nicht auf der gleichen Achse stehen: Der Turm ist zum Langhaus um ca. 2,5 Grad verdreht, eine für das bloße Auge kaum wahrnehmbare Abweichung. Dennoch ist nicht anzunehmen, dass dieser Achsknick bei einer einheitlichen Anlage des Gebäudes entstanden ist, so dass Turm und Kirchengebäude zwei verschiedenen Bauphasen entstammen müssen. Dies wird auch durch einen Befund unterstützt, der sich im Dachraum der Kirche fand: Verborgen unter einer Staubschicht zeigte sich hier, dass das Mauerwerk des Langhauses nicht in das des Turmes einbindet, sondern mit einer Fuge vor dieses gemauert wurde.

Dachraum über dem Langhaus am Anstoßpunkt zur weiter aufsteigenden Turmmauer

Grundriss des Erdgeschosses von St. Agatha

Was war zuerst?

Nach dieser Erkenntnis folgt die Frage, welcher Gebäudeteil zuerst errichtet wurde. Auch hier konnte die Gebäudesubstanz für sich selbst sprechen und die bisherige Vermutung belegen. Besonders aussagekräftig ist dabei der Übergang vom Turm zum Langhaus: Die Ostwand des Turmes, die gleichzeitig die Westwand des Langhauses ist, verfügt nicht über parallele Wandoberflächen, sondern ist in Gänze trapezförmig ausgebildet. Im Süden ist sie 17 cm dicker als im Norden. Das Aufmaß zeigte hier, dass der schräge Teil der Wand alleine auf das Langhaus entfällt, während der Turm ein fast perfektes Rechteck ausbildet. Dies belegt, dass das Langhaus auf den Turm reagiert – und nicht umgekehrt. Oder anders: Der Turm muss schon vorhanden gewesen sein, als der Rest der Kirche erbaut wurde. Welche Funktion der Turm hatte, bevor er zum Kirchturm von St. Agatha wurde, kann aufgrund fehlender Quellen nur vermutet werden. Vielleicht war er der Turm einer nicht mehr nachweisbaren Vorgängerkirche. Das starke Mauerwerk, die Wölbung auch im Obergeschoss und die wenigen, sehr kleinen Öffnungen in den beiden unteren Geschossen lassen aber vermuten, dass er zumindest auch eine gewisse sichernde Funktion besaß.  

Ungeklärt ist bislang, wann Turm und Kirchengebäude genau errichtet wurden. Hierzu finden zurzeit weitere bauforscherische und naturwissenschaftliche Untersuchungen statt, die die Baugeschichte von St. Agatha in Angelmodde weiter erhellen können.   

 

Grundriss des Erdgeschosses von St. Agatha. In Rot das Rechteck des Turmes. Dazu verdreht das des Langhauses, das das Turmrechteck umschließt. Hier ist auch gut die Stärke der Turmmauern zu erkennen, in deren Masse sogar eine Treppe Platz findet.

Autor

Carsten Neidig-Hensgens
Bauforschung

carsten.hensgens@lwl.org

Tel: 0251 591-3884

Porträt