Brutalismus: Eine Liebeserklärung
Im Osten des Bochumer Hauptfriedhofs liegt ein kleines Gebäude aus dem Jahr 1974, das viele Jahrzehnte von üppigem Grün eingewachsen war: die ehemalige Trauerhalle Ost. Das Objekt schien keine Zukunft zu haben, als es vor einigen Jahren aus der Nutzung fiel. Aber dann verliebten sich mehrere Akteure in den skulpturalen Sichtbetonbau, der im bewussten Kontrast zu den örtlichen monumentalen Trauerhallen der 1930er-Jahre steht. Die Stadt Bochum trug die Halle in die Denkmalliste ein. Grundlage bildete ein Gutachten des LWL-Fachamtes, dessen Referent von dem brutalistischen Bau begeistert war. In einem Interessenbekundungsverfahren bewarb sich die Buxus Stiftung um die Nutzung des Objekts für die Einrichtung des neuen Fritz Bauer Forums. In der Folge wurde der Bau behutsam saniert. Fritz Bauer, Generalstaatsanwalt der Nachkriegszeit, hätte sicher seine Freude an dem Gebäude gehabt: Er war ein Enthusiast zeitgenössischer Kunst und ließ sein Büro unter anderem mit einer Tapete des Architekten Le Corbusier ausstatten.
Hier erzählen Dr. Irmtrud Wojak, Gründerin der Buxus-Stifung, und unser Denkmalpfleger Dr. Knut Stegmann, wie sie den Bau das erste Mal gesehen haben, wie sich ihre Liebe zum Gebäude entwickelt hat, und Details der Umbaumaßnahmen.
Wie war der erste Eindruck?
Liebe auf den ersten Blick
Dr. Knut Stegmann, LWL
"Als ich zum ersten Mal vor diesem kleinen, skulpturalen Baukörper mit Sichtbetonoberfläche stand, war ich hingerissen. Nur sehr wenige Bauten dieser Art sind so gut überliefert, dass man noch die absichtlich raue Struktur erkennen kann."
"Wunderbar war aber auch, was hinter dieser rauen Schale lag: Denn die Glasfenster von Egon Becker, die im Äußeren eher unscheinbar daherkommen, tauchen das Innere in ein warmes, weiches Licht und stellen damit einen wunderbaren Kontrast zu den rauen Sichtbetonoberflächen her."
Liebe auf den zweiten Blick
Dr. Irmtrud Wojak
"Als ich mir die Trauerhalle als möglichen Ort für das Fritz Bauer Forum angeschaut habe, so eingewachsen wie sie war, habe ich mich gefragt, ob das passt. Dann habe ich mich eingelesen, auch über den Architekten Ferdinand Keilmann: eine ambivalente Persönlichkeit im NS-Regime. Ein Thema also, was mit unserer Buxus Stiftung zu tun hat, die sich für Menschenrechte und die Erinnerung an das NS-Unrecht einsetzt. So kam ich dem Gebäude näher."
Sichtbeton und Trauern – wie passt das zusammen?
Zeichen der neuen Zeit
Dr. Knut Stegmann
"Den Bochumer Hauptfriedhof prägen die monumentalen Steinbauten aus dem Dritten Reich. Der Architekt Ferdinand Keilmann bricht mit den Formen und Baustoffen dieser Bauten, indem er hier einen schlichten, rauen Stahlbetonbau plant. Damit trifft er nach dem Bombast der Nazizeit durchaus das Lebensgefühl vieler Menschen und setzt ein Zeichen der neuen Zeit."
Sichtbeton und Fritz Bauer
Dr. Irmtrud Wojak
"Fritz Bauer, selbst überlebender der KZ-Haft, brachte als Jurist die Verbrechen der NS-Zeit vor Gericht und war die Stimme der Überlebenden. Er hat sich aber auch für moderne Kunst und Architektur interessiert und für die documenta in Kassel engagiert. Sein Büro war mit einer Tapete von Le Corbusier geschnmückt. Als seine Biographin kann ich zwar nur spekulieren, aber ihm hätte die Trauerhalle bestimmt gefallen."
Skulptur oder nutzbares Gebäude?
Beides!
Dr. Knut Stegmann
"Ich denke, ein bisschen von beidem: Mit den Zacken, der Faltenform und dem umlaufenden Vordach wirkt der Bau wie eine Skulptur. Was übrigens sehr zeittypisch ist. Innen hatte die Trauerhalle eine große, frei nutzbare Fläche – sehr praktisch. Die Räume der Gärtner und die Leichenzellen lagen in einem separaten, heute nicht mehr existierenden Gebäude."
Umnutzung zum Fritz Bauer Forum
Dr. Irmtrud Wojak
"Der flexible Grundriss ermöglichte den Einbau einer freistehenden Bibliothek mit zweistöckigem Stahlgerüst und Regalen aus Eschenholz. Der Betonkörper und die bleiverglasten Fenster wurden saniert, eine Geothermieanlage mit Fußboden- und Wandheizung eingebaut. Alles in sehr enger Zusammenarbeit mit der Denkmalplege des LWL, welche gute Impulse gegeben haben. Was nun noch folgt, sind der Ausbau zum kompletten Fritz Bauer Forum mit Seminarräumen und Büros im angrenzenden Betriebshof."
Hat die Sanierung das Bild der Halle zum Besseren verändert?
Eines meiner Lieblingsdenkmäler
Dr. Knut Stegmann
"Einerseits gehen Umnutzung und Sanierung immer mit Verlusten an Denkmalsubstanz einher. Andererseits geht es uns ja auch darum, solche Bauten in die Zukunft zu bringen. Und das ist bei einer leerstehenden Trauerhalle alles andere als einfach. Und da finde ich die Umnutzung zum Fritz Bauer Forum eine absolut überzeugende, weil langfristige Lösung. Sie zeigt, welche Potentiale brutalistische Bauten haben, wenn sich ihrer jemand mit Liebe und Respekt annimmt."
Das Lob ist groß
Dr. Irmtrud Wojak
"Wir hatten schon so einige Lesungen, Vorträge und Konzerte und die Menschen sind begeistert, was man aus dem Gebäude rausholen konnte. Mich erfreut das freistehende Regal mit seiner Raumwirkung auch immer wieder."
"Mir persönlich bedeutete das Gebäude aber noch mehr und das spiegelt sich am außen angebrachten Zitat von Fritz Bauer: 'Wir können aus der Erde keinen Himmel machen, aber jeder von uns kann etwas tun, dass sie nicht zur Hölle wird'. Unsere Stiftung setzt sich für Demokratie und Menschenrechte ein und die Bibliothek versteht sich als interaktives Forschungsprojekt, das weltweit Geschichten vom Widerstand und vom Überleben dokumentiert und erzählt."