Zur dreifachen Treue
Die heutigen Steinmetzinnen und Steinmetze der dritten Bauhütte an der evangelischen Kirche St. Maria zur Wiese in Soest binden ihr Handwerk, Wissen, Brauchtum und Selbstverständnis in eine bis in das Jahr 1313 zurückreichende Traditionslinie ein, dem Jahr der Grundsteinlegung der Kirche. Seit 1994 restauriert die Bauhütte die vom Steinzerfall schwer beschädigten Turmschäfte der Westfassade. Diese Kontinuität am Werk in Verbindung mit der historisch gewachsenen Geisteshaltung bestimmen das tägliche Handeln, das von tatsächlicher Hingabe zur gotischen „Wiesenkirche“ geprägt ist. Die Ausbildung, der Austausch und die Fortentwicklung des Bauhüttenwesens auf europäischer Ebene sind seit dem Mittelalter wichtiger Teil dieses Selbstverständnisses. 2020 würdigte die UNESCO den internationalen Modellcharakter der europäischen Bauhütten mit der Aufnahme in das „Register der guten Praxisbeispiele der Erhaltung Immateriellen Kulturerbes“. Der folgende Film gibt Einblicke in das Wirken der Bauhütte:
Nele Dreizehner, Auszubildende und Jonathan Schulze, Steinmetz
"Wir lieben die Arbeit und das Gemeinschaftsgefühl in der Bauhütte und können uns nichts anderes mehr vorstellen. Es macht so viel Spaß zu sehen, wie der Turm der Wiesenkirche bald fertig wird und wir etwas erschaffen, das ewig bleibt."
Arbeit im Einklang mit den Jahreszeiten
Von November bis März wird die Arbeit im Bauhüttengebäude verrichtet. So gilt es die im darauffolgenden Jahr zur versetzenden Steine in Form zu bringen. Die groben Steine aus dem Steinbruch werden zu kubischen Werksteinen gesägt und dann zu Laibungen, gotischen Bögen, Giebeln, Fialen, Krabben, Kreuzblumen geschlagen. Ab April bis Oktober wird von den Turmgerüsten der Wiesenkirche aus abschnittsweise die äußere Steinschicht mit extra angepassten Diamantsägen rückgebaut. Die neu bearbeiteten Steine werden dann mit schmalsten Mörtelfugen versetzt bzw. die Fialen und ähnliche Bauzierde in den Vertikalen Verbindungen mit Blei gefestigt und vor Witterung geschützt. Regelmäßig werden darüber hinaus Ringanker aus Edelstahl zur statischen Stabilisierung der Turmgeschosse eingebracht.
Wissen, Brauchtum und Vernetzung
Das Selbstverständnis der Bauhütten mit ihren handwerklichen Fähigkeiten, ihrem Wissen und Brauchtum sowie der Vernetzung auf europäischer Ebene verweist auf eine bis ins Mittelalter zurückgehende Traditionslinie. Die Bauhütte folgt hierbei den Traditionen mit ihren Riten (Grundsteine mit Inschriften und Bauopfer), den Symbolen (Hüttenschlüssel, Steinmetzzeichen), den Leitsprüchen und den in den Hüttenordnungen festgehaltenen Tugenden. Im Sinne der europaweiten Ausbildung und des Austausches erlernen die an den Bauhütten Tätigen ihr Handwerk an verschiedenen Kathedralbauten.
Seit 1997 ist deshalb der Soester Bauhütte die international vernetzte Meisterschule für Steinmetze und Steinbildhauer angegliedert worden. Eine enge Zusammenarbeit und ein fachlicher Austausch findet außerdem mit der europäischen Vereinigung der Dombaumeister, Münsterbaumeister und Hüttenmeister e.V. sowie den zuständigen Denkmalbehörden statt. Die Bauhütten garantieren die Weitergabe des Wissens und Könnens im Handwerk in konzentrierter Form, was vor dem Hintergrund der künftigen Herausforderungen für das Kulturgut durch Verwitterung, den Klimawandel und menschengemachte Schadensereignisse weiterhin von hoher Relevanz ist.
Dr. Denis Kretzschmar, LWL-Denkmalpfleger
"Für den Denkmalschutz und die Denkmalpflege sind die Fortführung und der Wissenstransfer von traditionellem Handwerk, bei konsequenter Anwendung und Fortentwicklung zur Bewahrung unseres gemeinsamen baulichen Erbes von außerordentlicher Bedeutung."